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AUFMERKSAMKEIT FOKUSSIEREN

Die Macht der Aufmerksamkeitsfokussierung hat der bekannte Psychologe Paul Watzlawick in einer kurzen Anekdote illustriert.
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer“.
Die obige Geschichte ist wohl genau so, also in dieser extremen Form, nie passiert. Allerdings hat jeder von uns schon ähnliche Situationen erlebt, in denen man sich ordentlich in Rage gedacht hat und am Ende einer solchen „Radikalisierung“ zu sehr einseitigen Sichtweisen auf die Welt gekommen ist. Dass gegenüber der eigenen Wahrnehmung und der eigenen Erinnerung Vorsicht angebracht ist, wissen wir schon lange. Schließlich gelten vor Gericht die Aussagen von Zeugen als eine der unzuverlässigsten Beweismittel überhaupt. Durch die bildgebenden Verfahren der neueren Hirnforschung erfahren wir aber immer deutlicher das ganze Ausmaß unserer Wahrnehmung von Wirklichkeit. Das, was wir wahrnehmen, ist demnach nicht objektive Realität, sondern zum allergrößten Teil von unserem Gehirn zusammengereimt. Also gewissermaßen unabhängig von der tatsächlichen Faktenlage selbst produziert.
Überwiegend funktionieren unsere gedanklichen Prozesse sehr brauchbar (sonst könnten wir kaum mit über 200 km/h unfallfrei über eine Autobahn fahren) aber gelegentlich führt uns diese Art der Konstruktion von Wahrnehmung in die falsche Richtung. Gerade bei der Entstehung von zwischenmenschlichen Problemen spielt die Fokussierung von Aufmerksamkeit fast immer eine wichtige Rolle.

Situationszusammenhang

Wir sind nicht immer gleich. Wir sind morgens nicht dieselben wie abends. Wir sind nüchtern nicht dieselben wie nach ein paar Gläsern Wein. Je nach Interessenlage, je nach Stimmung, je nachdem, mit wem wir es zu tun haben treten unterschiedliche Teile unserer Persönlichkeit stärker zu Tage. Das gilt auch für alle anderen Beteiligten an einer Interaktion. Deshalb kann sich eine Situation im Prinzip in sehr viele unterschiedliche Richtungen entwickeln. Das, was letztlich geschieht, ist demnach immer nur eine von vielen Möglichkeiten. Es wären zumindest ganz zu Anfang auch andere Abläufe des Geschehens möglich gewesen, wenn es eben ein klein wenig anders gelaufen wäre. Diese Einsicht ist die Basis für das, was ich unter „systemischer“ Arbeit verstehe. Ich versuche zu verstehen, in welchen Situationszusammenhängen („in welchem System“) sich bestimmte Verhaltensmuster stärker zeigen als in anderen. Damit lässt sich eine ungünstige Problematik leichter lokalisieren. Durch die Berücksichtigung des Situationszusammenhangs erhält man auch eine erste Vorstellung davon, was ein bestimmtes Verhalten herausgekitzelt haben könnte.

Einflussmöglichkeiten

Für die meisten Klienten ist es unmittelbar plausibel, dass sie sich je nach Situationszusammenhang anders fühlen und sich anders verhalten. Das also das „System“, in dem sie sich verhalten einen direkten Einfluss auf die eigene Person und deren Erleben hat. Der Umkehrschluss gilt jedoch ebenso, obwohl das den meisten Klienten nicht sofort intuitiv vertraut ist: Wenn wir uns anders verhalten, verändert dieses Verhalten „das System“ und die Ereignisse werden sehr wahrscheinlich einen anderen Verlauf nehmen. Einhundert Prozent sicher ist das nicht (denn in zwischenmenschlichen Dingen gibt es wenig Sicherheit) aber immerhin doch sehr wahrscheinlich. Viele Klienten kommen zu mir und haben subjektiv den Eindruck, alles richtig gemacht zu haben. Nur die Gegenseite (der Ehepartner, der ex-Freund, der Mitarbeiter, der Kollege, der Chef) habe allen Grund ihr schlechtes Verhalten zu korrigieren. Der an den Coach herangetragene Auftrag lautet dann so, dass man die richtigen Worte finden müsse, damit die Gegenseite ihre Schuld endlich einsieht und sich in die gewünschte Richtung korrigiert. Diese Sicht ist nicht nur sehr häufig – sie ist auch menschlich verständlich. Denn in der Regel haben wir uns ja nicht viel vorzuwerfen, zumindest nicht in unserer Wahrnehmung. Leider ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass man die Gegenseite durch Appelle davon überzeugt kann, dass sie vermutlich die alleinige aber in jedem Fall den größeren Teil der Schuld zu tragen hat. Schließlich ist dieser „Lösungsversuch“ von den Klienten schon häufig versucht worden, ohne, dass das gewünschte Ergebnis eingetreten wäre. Im Gegenteil führt die beharrliche Wiederholung dieses „Lösungsversuchs“ bald zu einer Verhärtung der Fronten und zu einer Radikalisierung auf beiden Seiten.

Stärken stärken

Wenn man die eigene Aufmerksamkeit zu stark auf das fokussiert, was aktuell alles noch nicht funktioniert, was „schwach“, „krank“ und/oder „schlecht“ ist, dann führt das in der Regel nicht zu einer Stärkung des Klienten. Eine Schwächung sollte aber aus meiner Sicht nicht das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit sein. Umgekehrt macht es aber natürlich auch keinen Sinn, sich eine rosarote Brille aufzusetzen und sich die Dinge einfach nur schön reden zu wollen. Schließlich leben viele Klienten mit echten Einschränkungen, die sie sich nicht „eingebildet“ haben, sondern an denen sie zum Teil schon seit längerer Zeit massiv leiden. In meiner Erfahrung hat sich herausgestellt, dass es zunächst günstiger ist, wenn man sich auf die Situationszusammenhänge konzentriert, in denen sich das gewünschte Erleben (und wenn auch nur zeitweise) bereits zeigt, um dadurch Hinweise zu bekommen, auf welchen Wegen der Klient am ehesten wieder zu alter Stärke zurückfinden kann. Diese Wege werden zunächst mit dem Klienten besprochen und dann im Folgenden auch praktisch ausprobiert.

Klient entscheidet

Mir ist es wichtig, dass sich Klient und Coach auf Augenhöhe treffen. Sicherlich kenne ich mich als Coach mit meinem Handwerkszeug besser aus als der Klient und ich verfüge auch über mehr Coaching-Erfahrung. Allerdings kennt sich der Klient besser mit sich selbst aus als es jeder andere Mensch es könnte. Nur der Klient kann entscheiden, ob ein Vorschlag zu ihm passt, ob er einen vorgeschlagenen Lösungsweg gehen will und ob er die dabei erzielte Wirkung als eine Verbesserung zur Ausgangssituation empfindet oder nicht. Wenn der Klient eine Lösung seines Problems wahrnimmt oder zumindest eine deutliche Verbesserung in seiner Situation, dann hat der Coach gute Arbeitet geleistet. Wenn sich keine Verbesserung einstellt, dann nicht. Glücklicherweise ist letzteres jedoch nur sehr, sehr selten der Fall. Ich sehe meine Aufgabe als Coach so, dass ich meine Klienten mit meinem Wissen, meiner Erfahrung und meinem vollen Einsatz bestmöglich unterstütze und ihnen konkrete Vorschläge unterbreite, wie sie vorgehen könnten. Die Entscheidung, was ihnen davon gefällt, was sie davon ausprobieren wollen und wie sie die Wirkung bewerten liegt jedoch ganz beim Klienten. Er hat von Anfang an die volle Kontrolle über unsere Zusammenarbeit. Wir tun ausschließlich das, was der Klient will und was ihm gut tut.

Unbewusste Prozesse

Jeder von uns weiß, dass Rauchen eher ungünstige Auswirkungen auf die eigene Gesundheit hat. Wer aber schon einmal versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören, hat vermutlich am eigenen Leib erfahren, dass einem diese gedankliche Einsicht wenig nutzt. Es war und ist sehr schwierig mit dem Rauchen aufzuhören. Das liegt daran, dass man es hier nicht mit gedanklichen Prozessen des Bewusstseins zu tun hat, sondern mit unbewussten Prozessen. Unbewusste Prozesse sind wie Computerprogramme, die im Hintergrund ablaufen und die unser Verhalten steuern, ohne dass unser waches Bewusstsein Zugriff darauf hätte. Viele dieser unbewusst oder automatisch ablaufenden Prozesse erfüllen lebenswichtige Aufgaben. Es ist sicherlich gut, wenn wir „automatisch“ atmen und unser Herz „automatisch“ schlägt, und wir nicht mit unserem Bewusstsein daran denken müssen das Herz schlagen zu lassen oder zu atmen. Schwierig wird es jedoch dann, wenn wir erleben, dass diese unbewussten Programme in bestimmten Bereichen für uns ungünstige Programmierungen aufweisen. Gerade die Arbeit an den unbewussten Prozessen hat deshalb eine starke Wirkung, weil sie dafür sorgt, dass andere Verhaltensmuster dauerhaft verankert werden können und man andere Verhaltensmuster nicht mit kognitiver Willenskraft ständig gegen den Widerstand unterbewusster Prozesse herbeizwingen muss. Ein ständiger Kampf gegen die eigenen unbewussten Prozesse ist nach meiner Erfahrung selbst bei großer Willensstärke kaum zu gewinnen. Es geht vielmehr darum, in einen kooperativen Austausch mit diesen unbewussten Prozessen zu kommen und sie behutsam in eine neue Richtung zu modellieren. Für diejenigen, die hier erstmalig von der Beeinflussung unbewusster Prozesse hören, mögen die Gedanken zunächst etwas esoterisch klingen. Tatsächlich beruhen die hierbei zum Einsatz kommenden Arbeitsweisen auf Erkenntnissen, die erst in den letzten Jahren im Rahmen der modernen Hirnforschung entdeckt worden sind und die uns heute ein sehr viel besseres Verständnis von den Mechanismen erlauben, wie unser Hirn tatsächlich funktioniert.